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Schlafkrankheit

In den Savannen Afrikas bergen Büsche und Wälder bluthungrige Stechfliegen der Familie Glossinidae der Tsetse. Im vollen Sonnenlicht fallen sie über Menschen und Tiere her und übertragen dabei parasitische Flagellaten: Trypanosomen. Deren Stadien kreisen in Säugetieren aller Ebenen der ökologischen Nahrungspyramide. Sowohl die Herden der großen Huftiere, die Rudel der Antilopen und Gazellen, als auch die sie jagenden Raubtiere einschließlich der beteiligten Aasfresser, ja sogar Krokodile werden von ihnen befallen. Neurotoxine der Trypanosomen verändern, wenn auch oft nur geringfügig, das Verhalten der Infizierten. Raubkatzen erkennen daran die für sie günstige Beute. Selbst infiziert und beeinträchtigt unterliegen sie wieder ihren Konkurrenten. So werden für Jäger und Gejagte die Chancen des Überlebens bei allen Gliedern der Nahrungspyramide sowohl verbessert als auch vermindert, damit deren Gefüge gefestigt. Die Biozönose balanciert sich aus. Der Mensch ist an diesem Geschehen zum einen unmittelbar, zum ändern über seine Nutztiere beteiligt.

Die Kolonialgeschichte zumindest des südlichen Zentralafrika wäre ohne Tsetse und die Trypanosomiasen der Huftiere (Nagana) ganz anders verlaufen; Das Pferd in Mittel- und Südamerika von den Spaniern so erfolgreich eingesetzt, fiel in Afrika südlich der Sahara für alle Eroberungen aus. Die ersten Expeditionen der Portugiesen, die im 16. und 17. Jahrhundert am unteren Sambesi nach Goldminen suchen sollten, scheiterten unter großen Verlusten. Zuerst starben ihre Pferde an einer rätselhaften "Fliegen-Krankheit". Entblößt von Zug- und Lasttieren ließen sie ihre Güter auf den Köpfen von Eingeborenen transportieren. Als Fußsoldaten wurden sie, erschöpft durch Märsche und Fieber, zuletzt von ihren meuternden Trägern niedergemacht. Erst im 19. Jahrhundert gelangen den Missionaren und Händlern friedliche Reisen quer durch den Kontinent. Der Schotte Sir David Livingstone wurde, abgesehen von den abschnittsweise mit ihm ziehenden Eingeborenen, auf dem ganzen Weg fast nur von seiner Familie begleitet, er ritt auf eingehandelten Ochsen, die auch als Zugtiere verwendet wurden; fielen sie den Tsetse bzw. Trypanosomen zum Opfer, ging er zu Fuß weiter, nur bei Fieber ließ er sich tragen. Das Zebra zum Reit- und Zugtier zu zähmen, um es militärisch nutzen, misslang. Der Benzinmotor beendete diese Versuche.

1912 arbeitete Bruce in der Gegend des Nyassasees, um die Bedeutung des Wildes für die menschliche Schlafkrankheit zu erforschen. In 180 Tieren, vom Elefanten bis zur Gazelle, fand er in beinahe einem Drittel Trypanosomen, die er mikroskopisch nicht von denen unterscheiden konnte, die Nagana verursachten. Für ihn war die menschliche Schlafkrankheit dasselbe wie Nagana, obwohl dies den allgemeinen Erfahrungen z.B. der Hirten widersprach, die nicht mit ihren Rindern erkrankten. Die von ihm geleitete Kommission schlug vor, in mit Tsetse verseuchten Gebieten das Wild regional auszurotten. Abgesehen von den Kosten und dem unsicheren Wert solcher Maßnahmen lehnte dies das British Colonial Office im Mai 1914 ab. Falls nötig, sollte man eher die Bevölkerung umsiedeln, was oft geschah. Kurz zuvor hatte Reinhold Taute. Arzt der deutschen Kolonialtruppen, in einem ersten Selbstversuch, unter Absprache mit Bruce, gezeigt, dass weder Trypanosomen aus Rindern noch aus Tsetse, die an infizierten Rindern gesaugt hatten, bei ihm eine Schlafkrankheit ausgelöst hatte. Er setzte diese Versuche nach dem 1. Weltkrieg 1919 in Mosambik mit zahlreichen Freiwilligen fort. Stets waren die durch Tsetse übertragenen Trypanosomen aus Rindern für den Menschen nicht pathogen. Somit wurden Nagana und menschliche Schlafkrankheit von verschiedenen Erregern verursacht. Dies gilt mit gewissen Einschränkungen bis heute.

Verlauf der Parasitose
Die menschliche Schlafkrankheit ist eine Trypanosomiasis, die ausschließlich von Stechfliegender Gattung Glossina (Tsetse) übertragen wird. Sie kommt in zwei Nosodemen vor: Einer chronischen west und einer akuten ostafrikanischen Verlaufsform. In den Savannen- und Waldgebieten des tropischen Afrikas bestehen von der atlantischen Küste bis zu der des Indischen Ozeans zahlreiche, meist kleine endemische Herde. Madagaskar ist frei von Tsetse und Schlafkrankheit. Obwohl etwa 45 Millionen Einwohner von 38 Staaten Afrikas bedroht sind (Risikopopulation), war die Prävalenz, dank einer konsequenten Überwachung von 1930 an vergleichsweise niedrig (0.1%).Man rechnete bis 1960 mit zehntausend neuen Fällen pro Jahr (Inzidenz).Ab 1970 lebte die westafrikanische Schlafkrankheit wieder auf; 1980 und 1990 brachen in Zentralafrika massive Epidemien aus (s.u.). Die entsprechenden Trypanosomiasen der Nutztiere, vor allem die zwei Formen der Nagana der Rinder, werden ebenfalls von Glossiniden übertragen. Sie sind von größter wirtschaftlicher Bedeutung, da sie die Proteinversorgung der Bevölkerung anhaltend bedrohen.

Die Trypanosomen als Erreger der Nagana und ihre Übertragung durch Glossiniden entdeckte Sir David Bruce 1894 auf zwei Forschungsreisen, wie damals üblich auf Ochsenkarren von Pietermaritzburg nach Ubombo, einem Endemiegebiet im nördlichen Zululand. Er sollte nachträglich die Erreger der verheerenden Rinderpest von 1890 in Südafrika suchen. Hierbei handelt es sich um eine epidemisch auftretende Viruserkrankung, die aus wildlebenden Büffeln stammt. Die damals allgemein vermuteten Bakterien konnte er mit den einfachen Mitteln seines von seiner Frau geleiteten Feldlabors alsbald ausschließen. In Rindern mit Nagana fand er dagegen Trypanosomen, ihm bisher unbekannte Organismen. Sie ließen sich mit Blut auf Hunde übertragen, die akut daran starben. Den Zusammenhang der Nagana mit den Tsetse bewies er auf der zweiten Reise; Rinder erkrankten alsbald, wenn sie nur einen Tag aus der höher gelegenen Siedlung in das tiefer gelegene Umland gebracht und den dort vorhandenen Tsetse ausgesetzt wurden.

Die Trypanosomen in der Cerebrospinalflüssigkeit bei Schlafkranken beobachtete Aldo Castellani 1902 bei gezielten Untersuchungen der menschlichen Schlafkrankheit am Viktoria-See im Gefolge einer Epidemie in Ostafrika. Er maß ihnen aber keine Bedeutung bei, da er ebenfalls nach Mikrobien als Erreger suchte. Ab 1903 arbeiteten dann Bruce und der Pathologe David Nabarro in Entebbe mit ihm zusammen Sie fanden in 20 von 34 Fällen von Schlafkrankheit Trypanosomen im Liquor der Erkrankten, keine dagegen bei 12 Fällen ohne Symptome. Als Überträger bezeichneten sie ausschließlich Glossina pedipalpis wegen der gleichen geographischen Verbreitung mit den Krankheitsfällen. Bruce ging trotz vieler Experimente mit Tsetse von einer kontaminativen Übertragung aus, die es in der Tat bei anderen Trypanosomiasen gibt. Erst Robert Koch beobachtete auf seiner zweiten Afrika-Expedition 1906 Trypanosomen im Darm und im Speichel von Tsetse und postulierte eine zyklische Übertragung. Daraufhin beschrieb Friedrich Karl Kleine 1909 die zyklische Entwicklung der Trypanosomen in der Tsetse.

Durch sorgfältige epidemiologische Untersuchungen konnte W.D. Dye, 1927 nachweisen, dass menschliche Epidemien zwar aus dem Busch in die Dörfer, z.B. von Honigsammlern oder Jägern eingeschleppt wurden, sich aber dann, von Mensch zu Mensch durch Tsetse vermittelt, ausbreiteten. Es galt demnach die menschlichen Siedlungen von Tsetse freizuhalten, etwa indem alles Buschwerk in der unmittelbaren Umgebung gerodet wurde; Bäume konnten dagegen belassen werden.

Bayer 205, eine arsenfreie Harnstoffverbindung mit Sulfogruppen, wurde während des ersten Weltkrieges entwickelt. Es war das erste bei Menschen und Rindertrypanosomiasis wirksame Medikament. Seine relative Toxizität wurde zunächst nicht erkannt (bei Mensch und Rind treten auch ohne Trypanosomiasen in mehr als l % unklare Todesfälle auf). Nachdem Erreger und Überträger der verheerenden Epidemie in Ostafrika seit zwei Jahrzehnten bekannt waren, erregte die Möglichkeit einer Therapie großes Aufsehen. Die Hersteller verzichteten 1921 vor der Einführung auf dem Markt ein Patent anzumelden; man vertraute - heute unbegreiflich - auf die kompliziert erscheinende Formel. In kürzester Zeit boten zahlreiche europäische Firmen das Präparat an. Die damalige deutsche Reichsregierung unter Stresemann bestand auf der Bezeichnung "Germanin". Sie wollte der Behauptung der Siegermächte entgegentreten, Deutschland sei unfähig gewesen, Kolonien angemessen zu verwalten. Angesichts der vielen Konkurrenzpräparate wurde dies als anmaßend empfunden. So sind bis heute neben Bayer 205 als Namen registriert: Suramin, Antrypol, Belganyl, Furneau 309, Moranyl, Naphuride, Naganol und noch andere.

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