Der Ausbruch einer Pestepidemie ist das Ergebnis des Zusammenspiels von mindestens vier Partnern: Erreger, Mensch, Ratten bzw. Kleinsäuger und Flöhen. Die Anschuldigung (Inkriminierung) des Bakteriums Yersinia (syn. Pasteurella pestis) als Erreger durch Yersin und gleichzeitig Kitasato (1894) war eine Sache von Tagen, die Aufklärung der Übertragung durch Flöhe dauerte mehrere Jahrzehnte.
Anlässlich einer Epidemie in Hongkong arbeiteten unabhängig voneinander S. Kitasato, ein Schüler Robert Kochs im Labor des Pesthospitals und der zwei Tage später aus dem Institut Pasteur, Paris, eingetroffene Schweizer A. Yersin in einer eigens errichteten Hütte im Garten. Beide fanden ohne große Umstände Massen von Bakterien in Pestbeulen, Herzblut und inneren Organen von Verstorbenen. Die Reinkultur und Färbung waren nach dem damaligen Stand des Wissens alsbald durchgeführt. Dr. Yersin, beruflich Präparator, gab eine präzise Beschreibung. Er vermutete bereits, dass Ratten bei der Ausbreitung eine wichtige Rolle spielen. Beide berichteten über die ungewöhnlich verschmutzten Wohnquartiere der Chinesen. Die Ratschläge zur Eindämmung der Seuche, welche Dr. Kitasato gab, orientierten sich an denen von Robert Koch gegen Milzbrand: Isolation der Kranken und auch der bereits Genesenen als angebliche Keimträger 3-4 Wochen lang, unterschiedslose Desinfektion der Wohnungen, tief angelegte Gräber und Ätzkali für die Leichen. Diese Maßnahmen sind nur eingeschränkt sinnvoll (s.u.).
Für gezielte Maßnahmen müssen die Wege bekannt sein, auf denen sich die Krankheit tatsächlich ausbreitet. Sie sind keineswegs so vielfältig, wie ursprünglich angenommen, aber von Fall zu Fall verschieden. Dies zu klären erforderte 14 Jahre intensiver Forschung im Feld und im Laboratorium. Die Erforschung der Pest vom Altertum bis zur Gegenwart fasste der britische Epidemiologe und Pestforscher F. Hirst (1953) zusammen.
Zunächst ging man allgemein davon aus, dass Ratten die Lebensmittel (Reis, Getreide) und vor allem den Boden, sei es mit Faeces, sei es mit ihren Kadavern kontaminierten. Der Versuch dagegen mit Wasser und Desinfektionsmitteln vorzugehen, vertrieb die Ratten zeitweilig in die nähere Umgebung, was der Ausbreitung Vorschub leistete. Gegen hygienische Maßnahmen sprach, dass Wohnsitzlose (Bettler und Bettelmönche) weit seltener befallen wurden, als etwa Brahmanen oberer Kasten. Sie waren zwar reinlich, lebten aber mit einer Menagerie von Haustieren zusammen.
Die Übertragung unter den Ratten erklärte man mit Koprophagie und Kannibalismus, die bei ihnen häufig vorkommen. Eine wichtige Rolle der Flöhe vermuteten erstmals der Franzose P.L. Simond (1858-1947), ein Pionier der Epidemiologie am Institut Pasteur und unabhängig von ihm E.H. Hankin, beide Mitglieder der französischen Kommission anlässlich einer schweren Epidemie in Bombay. Sie schlossen eine aerogene oder hydrogene Übertragung sicher aus und machten eine Mensch zu Mensch-Ausbreitung der Bubonen- oder Beulenpest als wenig bedeutend fest. Eine Ausbreitung durch Flöhe zogen sie erst nach und nach in Betracht. Obendrein fehlten zu dieser Zeit die einfachsten Kenntnisse über die Biologie und Systematik der Flöhe. Vor allem das Intervall von zwei oder mehr Wochen zwischen einem ersten und weiteren Pestfällen in einer bisher pestfreien Gegend, wies sie auf eine Entwicklung des Erregers außerhalb des Menschen "extrinsic development") hin. Ähnlich verhielt es sich bei der Erforschung der Übertragung des Gelbfiebers (vergl. 3.5.1).
Einen ersten Hinweis lieferte eine Selbstbeobachtung von G. Sticker, Mitglied der deutschen Pestforschungs-Kommission in Bombay. Er bemerkte nämlich ein Lymphbläschen an seinem rechten Daumen, einige Tage nach einem vermutlichen Flohstich, und daran anschließend eine Pestbeule in der entsprechenden Achselhöhle. Glücklicherweise überlebte er die Infektion und konnte dies in seinen Bericht aufnehmen. Simond sammelte solche Fälle mit "Phlyktenüle" (gr. Phlyktaina Bläschen), die tatsächlich eine Primärläsion war (s. Glossar). Er fand sie in 5 % der Erkrankungen und zwar meistens am Bein in der Nähe des Knöchels, wo die Haut am dünnsten ist, niemals an der Fußsohle. Die Pestbeule entstand in solchen Fällen in der Leistenbeuge. Die zahlreichen Bakteriologen, darunter fast nur berühmte Namen wie G.F. Nuttal, R. Harvey und andere, blieben der Flohübertragung gegenüber entschieden reserviert, die britische Pestkommission in Indien lehnte die Vorstellung rundweg ab; die österreichische und russische Kommission erkannten immerhin eine Infektion durch die Haut an, dachten aber an Kratzwunden und kleinste Verletzungen.
Systematische Übertragungsversuche im Labor mit kranken und gesunden Ratten in getrennten Käfigen, aber mit der Möglichkeit, bzw. des Ausschließens des Überspringens ihrer Flöhe etwa nach dem Tod des kranken Tieres, machten J.G. Gauthier und A. Raybaud (1903) in Marseille anlässlich einer Pestepidemie. Sie brachten klare Beweise, die aber dennoch als nicht relevant für die Verhältnisse bei Epidemien angesehen wurden. Dies änderte sich erst, als W.O. Listen (1905) Meerschweinchen in Räumen aussetzte, in denen einige Zeit zuvor entweder Ratten oder Menschen an Pest gestorben waren. Sie zogen massenhaft Flöhe auf sich und erkrankten. Dieses Sammelverfahren wird bis heute als einfachste Methode zum Nachweis von enzootischer Pest angewandt. Entsprechende Beobachtungen machten Forscher in Sidney und in Kronstadt bei St. Petersburg. Die Systematik der Flöhe von Kleinsäugern entwickelte ursprünglich N.C. Rothschild (I903), Erbe des berühmten Bankhauses in London und zeitweilig Mitglied der britischen Pestkommission in Bombay/Indien. Klarheit über die komplexen Zusammenhänge bei verschiedenen kleineren und größeren Epidemien im fernen Osten war aber erst zu gewinnen, nachdem K. Jordan und N.C. Rothschild (1908) eine umfassende Bearbeitung der Systematik und geographischen Verbreitung der Flöhe nicht nur von Ratten, sondern auch vieler anderer Warmblüter vorlegten. Sie begründete die am Britischen Museum weitergeführte, unbestritten führende Flohsammlung. Das Bankhaus kommt bis heute für Betreuung und Personal auf.
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