2.4 Chagaskrankheit und Raubwanzen
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Der Erreger Trypanosoma cruzi ist ein Hämoflagellat und gehört zu den Trypanosomatiden, Flagellaten, die durch einen Kinetoplasten charakterisiert sind. Er wird unter natürlichen Verhältnissen nur von blutsaugenden Raubwanzen (Reduviidae: Heteroptera) auf den Menschen übertragen. Die Chagaskrankheit ist deshalb ausschließlich in Lateinamerika endemisch.
Die Raubwanzen übertragen den Erreger kontaminativ mit ihren Fäzes (Gruppe Stercoraria), die sie unmittelbar nach dem Ende des Blutsaugens abgeben. Die metazyklischen Trypomastigoten dringen über die Stichwunde ein, oder sie werden in die Bindehaut des Auges oder des Mundes eingerieben. Die normale intakte Haut können sie nicht durchdringen.
Im Warmblüter vermehren sich die Trypomastigoten in Makrophagen in vier Zyklen als Kryptomastigote während vier Tagen, wobei sie als kurzfristig flagellate Formen umsteigen. Die zuletzt wieder zirkulierenden Trypomastigoten generalisieren die Infektion und leiten die transferente Phase ein.
Einige Tage nach einem infektiösen Stich beobachtet man oft eine Überempfindlichkeitsreaktion an der ursprünglichen Eintrittspforte der Trypanosomen. Sie besteht aus einer Symptom-Trias: Ödem des Augenlids, begleitet von einer Schwellung der maxillären Lymphknoten und akut einsetzendem Fieber: Romagna-Zeichen. Die akute Phase der Infektion geht in die latente Phase über, welche Jahrzehnte oder das ganze weitere Leben des Patienten dauern kann. Wenn nicht, dann haben die zirkulierenden Trypomastigoten gewisse Gewebezellen befallen und in diesen Pseudozysten gebildet, angefüllt mit Kryptomastigoten, deren Toxine das betreffende Organ schädigen: Chronische Phase.
Entsprechend den Krankheitserscheinungen, den Nosodemen, teilt man die Erreger ein: Myotrope Erregerstämme verursachen den Abbau des Herzmuskels, neurotrope Stämme befallen die viszeralen Ganglien und führen zu Enteromegalien, reticulotrope Stämme schädigen die Milz, Leber und das Knochenmark.
Die Erkrankung verläuft ausgesprochen chronisch. Abgesehen von etwa 10 % Letalität bei Kindern, treten erst bei Erwachsenen im mittleren Lebensalter anhaltend schwere Schäden auf. Da die Menschen dann im Erwerbsleben stehen, bildet ihr Siechtum eine schwere soziale Last.
Für die Diagnose verwendet man unter anderem trypanosomenfrei gezüchtete Raubwanzen, die man am Patienten saugen lässt. Sich entwickelnde Trypanosomen können nach einigen Tagen in den Fäzes beobachtet werden: Xenodiagnose. Zur Chemotherapie stehen Lampit und Rochagan zur Verfügung. Obwohl oral verabreicht, müssen diese Medikamente täglich, während Monaten eingenommen werden. Die möglichen Nebenwirkungen verlangen ärztliche Überwachung. Für eine Massentherapie fehlt ein geeignetes Medikament. Eine Immunprophylaxe ist bis jetzt nicht möglich.
Die von der Raubwanze aufgenommenen Trypomastigoten gelangen in den Mitteldarm oder Magen, wo sie kurzfristig agglomerieren. Wahrscheinlich findet dabei ein Genaustausch statt. Er kann durch die Neukombination von Isoenzymen nachgewiesen werden. Im anschließenden langen Mitteldarm oder Dünndarm, vermehren sich die Epimastigoten, die sich wieder in metazyklische Trypomastigote verwandeln, sobald sie die Rektalblase erreicht haben. Nur diese sind für den Warmblüter wieder infektiös. Die Aufnahme von Blut aktiviert die symbiontischen Bakterien, die sich in den Zellen der Cardia am Eingang des Magens befinden und dem Blutmahl zur Verdauung beigemischt werden. Sie werden mit den Fäzes kontaminativ auf die nächste Generation übertragen.
Die Raubwanzen sind nachtaktiv und penetrieren mit ihren langen Stechborsten die Haut des Wirtes. Die Mandibel tragen starke Widerhaken; die Maxillen bilden zusammen den weitlumigen Nahrungskanal und einen gemeinsamen Speichelkanal. Die letzteren dringen in eine Kapillare ein, die sie mittels Suchbewegungen in bis zu 2100 Mikrometer Tiefe erreichen können. Die geflügelten Imagines können fliegen, aber ihre Mobilität zum Nahrungserwerb ist begrenzt. Sie brüten hauptsächlich in den Häusern ihrer Wirte, in den Wänden nahe den Schlafplätzen oder in den Grasdächern.
Potentiell besteht für T. cruzi ein fast unbegrenztes natürliches Reservoir in wildlebenden Säugetieren, Haus- und Nutztieren. Epidemiologisch bedeutungsvoll sind jedoch vor allem das Opossum, der Hund, sowie Ratten und Mäuse. Bluttransfusion führte zur Urbanisierung der Krankheit. Als Infektionsquelle muss auch an Blutkonserven gedacht werden.
Es bestehen silvatische und domestische Übertragungszyklen, die durch eigene Erreger-Vektor- Komplexe charakterisiert sind.
Der Mensch ist nur kurze Zeit transferent, jedoch vermehrt sich der Erreger in den Raubwanzen und diese bleiben andauernd infektiös. Da alle Stadien der Raubwanzen mindestens einmal Blut saugen, infizierte häufiger, kann der Blutverlust auf die Dauer beträchtlich sein. Im Nestbereich betreiben sie Kannibalismus und Koprophagie. Infolgedessen steigert sich die Befallsrate der Raubwanzen in den aufeinander folgenden Larvenstadien und erreicht in den Imagines häufig 30 - 50 %.
Mangelnde Wohnhygiene, bedingt durch Armut, begünstigt die Ausbreitung der Infektion und behindert die Sanierung befallener Bevölkerungen.
Das Infektionsrisiko ist bei tolerablen Lebensbedingungen nicht besonders groß. Die individuelle Infektionsrate (IPC, individual infection rate per caput) beträgt für eine neue Infektion 104 Stiche, infektiös oder nicht. Bei 20% infektiöser Wanzen und 10 infektiösen Stichen pro Nacht ergeben sich 200 Nächte für eine neue Infektion. Tatsächlich beträgt das Alter einer Erstinfektion erfahrungsgemäß ein halbes Jahr. Maßnahmen, welche die Kontaktrate zwischen Mensch und Raubwanzen vermindern, haben infolgedessen bei jeder Bekämpfung Vorrang.
Die Raubwanzen sind mit Insektiziden nur unter großem Aufwand zu bekämpfen, wobei der Erfolg zeitlich begrenzt bleibt. Die biologische Bekämpfung mittels Schlupfwespen (Telonomus spec.) oder entomopathogenen Flagellaten (Blastocrithidia spec.) und einer Hefe (Beauveria spec.) wird erprobt.
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