2.2.1 Verlauf der Parasitose
- Der Erreger der Flussblindheit, Onchocerca volvulus ist eine Filarie oder Fadenwurm aus der Klasse der Nematoden. Seine Larven, die Mikrofilarien werden von Simuliiden oder Kriebelmücken (Diptera, Nematocera) übertragen. Deren aquatische Larven brüten in dauernd strömenden Gewässern.
- Die adulten Würmer leben subkutan aufgeknäuelt in bindegewebigen Knoten, den Onchozerkomen. Sie sind vivipar und erzeugen Mikrofilarien, die sich in der Gewebelymphe der Haut nahe der Epidermis aufhalten: Mikrofilaridermie.
- In den übertragenden Simuliiden wandern einige der beim Blutsaugen aufgenommenen Mikrofilarien vom Darm in die Flugmuskulatur und häuten sich intrazellulär zweimal. Die so entstandenen dritten, metazyklischen oder infestiven Larven brechen aktiv durch die Haut der Proboscis und wandern in die Stichwunde ein. Im Endwirt Mensch häuten sie sich zum vierten Mal zum juvenilen Stadium, das bereits die sexuellen Unterschiede zeigt. Während 6 bis 9 Monaten Präpatenz wachsen sie zu maturen adulten Würmern heran.
- Die Krankheitserscheinungen, Hautveränderungen und Augenläsionen, werden durch die Mikrofilarien verursacht. Bei Onchozerkomen am Kopf oder Mikrofilarien im Temporalbereich sind die Augen unmittelbar bedroht. Mehrheitlich erscheinen Augenläsionen jedoch erst nach jahrelangem Bestehen der Parasitose.
- Infolge des jahrelang inapparenten Verlaufs bei vollständig entwickelter Patenz, steigt die Prävalenz in endemischen Gebieten in den Altersklassen der ersten zwei bis drei Jahrzehnte der Bevölkerung stark an.
- Die parasitologische Diagnose erfolgt durch eine oberflächliche Hautbiopsie (engl. skin snip). Zur Chemotherapie stehen Substanzen zur Verfügung, welche hauptsächlich gegen die Mikrofilarien wirken. Gegen adulte Würmer wirksame Stoffe, Adultizide, sind schlecht verträglich. Ivermectin, ein Antibiotikum, senkt nach einmaliger Einnahme die Mikrofilaridermie während drei Jahren auf etwa 10 % des Ausgangswertes. Danach bleibt sie, auch bei wiederholter Verabreichung, weiterhin erniedrigt, verschwindet aber nicht ganz. Selbst bei höheren Dosen vermag Ivermectin alleine nicht die Übertragung zu unterbrechen.
- Die in endemischen Gebieten exponierten Personen klassifiziert man klinisch in solche mit inapparenter, apparenter und lokal- akuter Onchozerkose. Die ebenfalls der Übertragung exponierten, aber dauernd parasitologisch negativen Personen, werden als "Endemisch Normale" bezeichnet. Es lässt sich nicht entscheiden, ob solche Personen eine natürliche, vollständige Resistenz, oder eine okkulte oder frühzeitig postpatent gewordene Onchozerkose aufweisen.
2.2.2 Biologie der Simuliiden
- Simuliiden oder Kriebelmücken (engl. Blackflies) sind Zweiflügler oder Diptera und gehören zur Unterordnung der Nematocera mit fadenförmiger Fühlergeißel. Sie brüten hauptsächlich in strömendem Wasser. Nur die Weibchen saugen Blut, die Männchen leben von Nektar aus Blüten.
- Die Geschlechter finden sich durch optische Orientierung der Männchen. Sie besitzen im Dorsalbereich ihrer Komplexaugen besonders hoch differenzierte Ommatidien.
- Bei der Wirtsfindung der Weibchen spielen im Nahbereich optische Reize wie Farbe, Bewegung und Formen eine wichtige Rolle.
- Zum Blutsaugen schneidet das Weibchen mit den gekreuzten Mandibeln die Haut quer zur Körperlängsachse der Mücke scherenartig ein und spaltet die Wunde mittels den Haken des Labrum und den Zähnchen des Hypopharynx. Die Maxillen verankern den Stechapparat, während das Labium sich spreizt. Sind metazyklische Larven vorhanden, so brechen sie durch die ausgespannte Ligula und wandern in die Stichwunde ein. Austretende Hämolymphe schützt sie vor dem Austrocknen.
- Die Stechaktivität ist nach Tagesanbruch und vor dem Abend am größten. Die rasche Zunahme oder Abnahme der Tageshelligkeit bildet den auslösenden Reiz.
- Die Ruheplätze zur Blutverdauung und Eientwicklung sind wenig bekannt.
- Zur Oviposition fliegen die Weibchen in der Wasserlinie flottierende Pflanzenteile, Schilfblätter oder ins Wasser hängende Äste an. Die Eigallerte gibt ein Pheromon ab, das weitere Weibchen anlockt und die Eigelege zu dicken Lagen anwachsen lässt.
- Die Larven heften sich mit Hilfe eines Speichelkegels an feste Unterlagen. Sie filtrieren mit ihren kranialen Fangfächern Detritus und Bakterien aus dem vorbeiströmenden Wasser ab. Zur Verpuppung spinnen sie einen tütenförmigen Kokon, in dem sie sich zur Puppe häuten. Die Puppe trägt Atemfäden, mit denen sie sowohl im Wasser als auch an der Luft atmen kann. Die Imago schlüpft innerhalb des Kokons und wird unbenetzt an die Oberfläche getragen.
- Anhand der Querscheibenmuster der polytänen Chromosomen der larvalen Speicheldrüsenzellen lassen sich zytotaxonomische Typen unterscheiden. Die Typen stellen spezifische hydrochemische Ansprüche an das Brutgewässer und sind auch im Imaginalstadium für die Vektoreigenschaften bedeutungsvoll.
- Einzelne Arten leben als Larven- und Puppen phoretisch auf decapoden Crustaceen, die sich sowohl in schnellfließenden Gewässern unter Felsen, als auch in oberirdisch trocken erscheinenden Bächen in dem unter Steinen dahinsickernden Wasser aufhalten. Die phoretischen Arten sind ebenfalls an der Übertragung der Onchozerkose in West- und Ostafrika beteiligt.
2.2.3 Epidemiologie
- Augenläsionen durch Onchozerkose sind in Savannengebieten Afrikas häufiger, als in den angrenzenden Waldgebieten.
- Hinsichtlich der Neigung des Parasiten Augenläsionen zu verursachen und der Entwicklungsrate der Mikrofilarien im Vektor bestehen in der Savanne bzw. im Waldgebiet jeweils eigene Erreger- Überträger-Komplexe.
- Die tägliche Anflugs- oder Stechrate (DBR) erfasst die Dichte der Vektorpopulation. Aus dem Verhältnis der paren zu den nulliparen Mücken errechnet man die mittlere Lebenserwartung des Vektors. Die Anzahl infestiver Larven in den auf einen Menschen anfliegenden Mücken, hochgerechnet auf ein Jahr, ergibt das jährliche Übertragungspotenzial (ATP).
- Den Grad der Endemizität der Onchozerkose erfasst die Community Microfilarial Load (CMFL), ausgedrückt als das geometrische Mittel der Mikrofilariendichte in der Haut aller Personen, die über 20 Jahre alt sind.
- Einfache Bekleidung, welche vor allem die Beine bedeckt, einschließlich Socken und Schuhen, reduzieren die Stechrate entscheidend.
- Trotz stark wechselnder Populationsdichten des Endwirtes Mensch und der saisonal und lokal extrem wechselnden Dichten der Vektoren, reicht das jährliche Übertragungspotenzial in allen Fällen aus, um die Erhaltung der Parasitose zu sichern.
- Zur Bekämpfung der Onchozerkose werden Insektizide oder biologisch hergestellte Toxine in mikroenkapsulierter Formulierung gegen die Mückenlarven in die Fließgewässer gebracht. Die Dosierung wird auf die augenblickliche Schüttung abgestimmt, so dass am Ort der Applikation 0,05 ppm während 10 Minuten erreicht werden.
- Das Orientierungsverhalten der Weibchen zur Eiablage ist noch zu wenig bekannt, um nutzbringend angewandt zu werden. Pheromone, welche von den Eigelegen abgegeben werden, könnten einen ersten Ansatz darstellen.
- Die optisch gesteuerte Orientierung zum Blutwirt Mensch und die Anlockung mit CO2 bewirkt bei entsprechend ausgerüsteten Fallen einem überoptimalem Einflug und kann bei der Überwachung in der Erhaltungsphase eingesetzt werden.
- Die entomologische Erfolgskontrolle einer Bekämpfungsaktion anhand der täglichen Stechrate (DBR engl. Daily Biting Rate) ist hochgradig sensibel; sie verzögert sich am Brutgewässer nur um einen bis zwei Tage. Mit Schlüpfversuchen kann die Puppendichte gemessen werden. Damit lässt sich die Wiederbesiedelung des Brutplatzes genau verfolgen und der wiederholte Einsatz zeitlich festlegen. Für ihre Validitierung bedarf es einer aufwendigen Speziesdifferenzierung der Mücken und der von ihnen transportierten infestiven Larven.
- Die parasitologische Erfolgskontrolle durch Altersbestimmung der adulten Würmer (Tegument, Exkretions-Konkremente) ist weniger sensibel; sie zeigt erst nach mehreren Jahren signifikante Veränderungen an. Sie ist jedoch nhochgradig valide und ermöglicht es, langfristige Trends zu erkennen, um die zeitliche Ausdehnung der Aktion zu planen.
- Eine Bekämpfungsaktion sollte die Erblindungsrate soweit senken, dass sie die übrigen Ursachengruppen für Erblindung nicht übertrifft.
- Die saisonalen Migrationen der Mücken zwischen Savanne und angrenzenden Waldgebieten bedarf besonderer Überwachung.
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