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2. Zyklisch übertragene Parasitosen

Ökosysteme sind Netzwerke von Beziehungen, gegründet auf im weitesten Sinne trophischen Abhängigkeiten, an denen stets zahlreiche Partner teilnehmen, wenn auch in abgestufter Intensität. Dies gilt vom Anfang ihres Bestehens an. Die Dreierbeziehung Parasit – Zwischenwirt – Endwirt ging nicht zwingend aus einer Zweierbeziehung hervor. Vielmehr grenzten sich in einem Netz multipler Beziehungen diejenigen Konstellationen immer mehr ab, welche jedem Beteiligten zugleich selektive Vorteile boten. Die heteroxenischen, zyklisch übertragenen Parasitosen sind polyphyletisch entstanden. In einem Ökosystem kämpfen nicht alle gegen alle, sondern alle verhalten sich ökonomisch. Jeder Organismus entwickelt mit Vorrang die Eigenschaften weiter, welche bei geringstem Aufwand optimale Möglichkeiten des Überlebens ergeben.

Am Lebenszyklus von Plasmodien, den protozoischen Erregern der Malaria, ist die jüngste Altersklasse der menschliche Bevölkerung mitunter bereits bis zu 90 % beteiligt, die Populationen der aktuell übertragenden Stechmücken jedoch höchstens zu 1 %. Dementsprechend gelten für die Interaktionen zwischen Parasit und Wirt im Vertebraten andere Prioritäten als im Invertebraten.
      Die Infektion der Stechmücke mit einem Plasmodium verkürzt deren Lebenserwartung und damit die Zahl ihrer Nachkommen erheblich. Für den Bestand der aktuellen Mücken-Population spielt eine Plasmodien-Infektion jedoch keine Rolle. Für das Plasmodium ist das Überleben der infizierten Mücke jedoch entscheidend. Schon eine geringfügige Verminderung der Chance übertragen zu werden, senkt die Infektionsrate (Inzidenz) des warmblütigen Wirtes erheblich. Um eine Endemie auszulöschen, muss sie nicht auf null gesenkt werden. Dementsprechend ist die Sporogonie auf 12 Teilungen begrenzt (Absatz 2.1.1.2, Seite 17 und Abb. 2.9, Seite 24).
      Im Menschen d.h. allgemein im Vertebraten, erreichen Plasmodien hohe Befallsraten (Prävalenzen). Die Fortpflanzungsrate der Wirte ist geringer, ihre Lebenserwartung jedoch länger. Rote Blutzellen (RBC) haben einen Turnover, mit denen das Plasmodium Schritt halten muss. Zugleich belastet es die Blutbildung im Knochenmark und die Milz durch den vermehrten Abbau der RBCs. Der humoralen Immunreaktion ist das Plasmodium unmittelbar ausgesetzt: Es nutzt sie jedoch zur Regelung der Merogonie (Abb. 2.2, Seite 15) und kontrolliert damit die Parasitämie. Ausserdem durchläuft es nur eine begrenzte Anzahl Vermehrungszyklen, die jedoch bei erneuter Infektion wiederholt werden können: Die Infektion heilt spontan, jedoch ohne eine schützende Immunität zu hinterlassen. Das Plasmodium überlebt im Menschen nicht trotz, sondern mit Hilfe der Immunreaktion. Dasselbe Individuum kann mehrmals als Wirt dienen. Alle diese Tatsachen sind mit einer mikrobiellen Infektion nicht zu vergleichen: Ihre entomologischen, parasitologischen und klinischen Parameter sind aufeinander abgestimmt. Die Balance des Zyklus quantitativ erfassbar (Abb. 2.10, Seite 27).

Synopsis der Überlebensstrategie von Plasmodium falciparum

VEKTOR
r-Stratege
ENDWIRT
K-Stratege
Populationsdichte
saisonal
groß
variabel

klein
konstant

Prävalenz
Empfänglichkeit

niedrig (ca. 1%): alternativ
genetisch determiniert

hoch (bis 90%): saisonal
variabel

Lebenserwartung
Parasit : Wirt
Befall des Wirtes

2 Monate/2 Monate = 1

einmalig

z.B. Kinder 16 Inf./5Jahre
Erwachsene 1,4 Inf./5Jahre
mehrfach

Regulation
des Parasiten

Zeitfenster d. Kinetenbildung
limitierte Sporogonie

limitierte Merogonie i.d. Leber
regulierte Merogonie im Blut

Beeinflussung
des Wirtes
physiologische Modifikation
des Verhaltens
Prämunition
(Revierverteidigung
des Parasiten)
Abwehrmechanismen Internal Defence System
ererbt, nicht erinnert
reversibel

Immun-Reaktion
erinnert, nicht vererbt
irreversibel


Je nach der Natur des Wirtes, Vertebrat oder Invertebrat, wurden bei Parasiten intra- oder interspezifische Regelkreise zur Selbstkontrolle ihrer Vermehrung selektiv entwickelt. Sie sind alsbald zu erkennen, wenn wir für jeden der drei Partner postulieren, dass seine Nettoreproduktionsrate über viele Generationen exakt 1 betragen muss. Nur so ist die dauerhafte Existenz der Malaria, und jeder zyklisch übertragenen Parasitose gesichert, sind die zu beobachtenden Endemien möglich.

Bei dem Fadenwurm Onchocerca volvulus, dem Erreger der Flussblindheit, handelt es sich um einen Metazoen. Die zu übertragenden Stadien, die Mikrofilarien, halten sich in der Gewebslymphe der Haut auf. Die Überträger sind ebenfalls Mücken, brüten jedoch in fließenden Gewässern, sind tagaktiv und orientieren sich zum Auffinden des Geschlechtspartners und teilweise auch bei der Wirtsfindung optisch. Außerdem überträgt der Vektor zugleich Onchocerca spec. von Wildtieren, die zufällig auch den Menschen erreichen können (Abb. 2.18, Seite 45). Diese Zusammenhänge lassen sich quantitativ erfassen (Tab. 2.1, Seite 48). Eine Synopsis seiner Überlebensstrategie fällt ähnlich der von Plasmodium aus (Abb. 8.6, Seite 303). Unabhängig davon, ob eine hohe Dichte des Vektors einer geringen Dichte des Endwirtes gegenüber steht, oder ob umgekehrte Verhältnisse herrschen, variiert das Übertragungspotenzial, d.h. die Präsenz des Parasiten in engen Grenzen und damit auch seine Nettoreproduktionsrate (Abb. 2.19, Seite 46).

Bei Filarien mit im Blut zirkulierenden Mikrofilarien wird deren Turnover über zwei miteinander gekoppelte Regelkreise stabilisiert und damit unabhängig von der Wurmlast (Abb. 2.25, 2.26, 2.27, Seiten 58, 59, Box 2.2, Seite 62). Die infestiven Larven verteilen sich in den Vektoren negativ-binomial (Abb. 2.20 Seite 47, 2.28, Seite 63 und 8.6, Seite 303). Dies führt zu zahlreichen, wiederholten Infestationen mit niedriger Dosis, hohe Dosen bleiben die Ausnahme. Im Grenzfall genügt ein einziges Paar infestiver Larven, um eine patente Parasitose mit normaler Dauer zu erzeugen. Die Phasen einer metazoischen Parasitose, Präpatenz – Patenz – Postpatenz, stehen in enger Wechselwirkung mit der Immunreaktion, konditionierend – balanzierend – erfahren.
Für Wuchereria bancrofti, Brugia malayi, Loa loa und andere Filarien dürfen entsprechende Regelkreise und Beziehungen mutatis mutandis angenommen werden.

Die Trypanosomiasen und Leishmaniasen heilen (abgesehen von einigen kutanen Leishmaniosen) nicht spontan aus. Sie verlaufen ausgesprochen chronisch (abgesehen von einer Zoonose: Ostafrikanische Schlafkrankheit). In den Vektoren erscheinen die Erreger nur in der flagellaten Form und werden kontaminativ nur über den Stechapparat, oder nach Entwicklung im Darm durch Regurgitation, oder über die Fäzes (Stercoraria) oder nach Wanderung durch die Hämolymphe den Speichel (Salivaria) übertragen.
      Trypanosoma cruzi, der Erreger der Chagaskrankheit vermehrt sich im Menschen als Zellparasit in Geweben innerer Organe oder Muskeln (Herz). In den Vektoren, Raubwanzen, vermehrt er sich während der Passage des Darmes, mit Abwandlungen in den verschiedenen Genera der Raubwanzen. Im nicht verdauenden vorderen Mitteldarm (Magen) agglomerieren die Trypanosomen vorübergehend (Abb. 2.32, Seite 70. Genaustausch?).
      Die Erreger der Schlafkrankheit, T. brucei gambiense und T. b. rhodesiense sind reine Flüssigkeitsparasiten und machen einen Formwechsel durch indem sie die Lage des Kinetoplasten und damit den Ursprung der Geißel verändern (Abb. 2.40, Seite 82). Ausserdem wechseln sie die Antigenspezifität ihrer Oberfläche, teils autonom, teils reaktiv gesteuert. Sie durchlaufen kein zellparasitisches Stadium, auch nicht in den Vektoren, den Glossiniden, bei denen sie durch die Hämolymphe wandern. Ein intraspezifischer Genaustausch ist mittels Isoenzymen nachgewiesen. Er findet wahrscheinlich in den Vektoren statt. -- Der Stechapparat der Glossiniden ist einzigartig; der Mechanismus zur Penetration der Haut des Vertebraten beruht auf der Flexibilität des Chitinskeletts (Abb. 2.43, 2.44 Seite 87 und 88). Der gonotrophische Zyklus, ablaufend an vier Eiröhren (Abb. 2.42, Seite 86) erlaubt eine exakte Altersbestimmung, derjenige der Nematocera mit zahlreichen Eiröhren zeigt den Zusammenhang mit der Blutverdauung (Abb. 6.7, Seite 250).

Die Leishmanien sind im Menschen stets Zellparasiten. Die als Arten anzusehenden Erreger werden nach den von ihnen hervorgerufenen Krankheitsbildern und der geographischen Region, d.h. nach Nosodemen typisiert (Abb. 2.51, Seite 97). Mit molekular-genetischen Verfahren erhält man kein entsprechendes, sondern ein vielfältigeres Bild. Die immunologische Balance wird bei kutaner Leishmaniasis über die Kooperation von antigenpräsentierenden Makrophagen erreicht (Abb. 2.52, Seite 100). In den Vektoren, den Phlebotominen (Abb. 2.55, Seite 105), vermehren sie sich ausschließlich im Mitteldarm und werden durch Regurgitation übertragen..

Die Piroplasmen der Rinder werden von Schildzecken übertragen. Die Babesien befallen abgesehen von Muskelzellen, alle inneren Organe der Zecken und können transovariell übertragen werden (Abb. 2.52, Seite 110). Im Säugetier befallen sie nur die RBCs. Die Theilerien vermehren sich in den Zecken synchron mit der transstadialen Übertragung nur in einem der drei Typen der Acini der Speicheldrüsen und in diesen nur in den am Ausführgang liegenden Zellen (Abb. 2.57, Seite 112). Im Säugetier stimulieren sie Lymphoblastoidzellen in den regionalen Lymphknoten zur Teilung und werden auf diese Weise ebenfalls verteilt. Zuletzt befallen sie rote Blutzellen. Die Piroplasmen scheinen bei Ungulaten die ökologische Nische der Plasmodien besetzt zu halten. Die Epidemiologie der Piroplasmosen wird von der Biologie der Schildzecken bestimmt. Im Unterschied zu Insekten erzeugen Zecken eine immunologisch bedingte Resistenz , die ihr Saugen begrenzt, sodass die individuelle Zeckenlast erheblich variiert. Zusammen mit einer Prämunition gegen den Erreger entsteht eine Balance, die enzootische Stabilität.

Bei den Sarkosporidien, zu denen auch Toxoplasma gondii gehört, sind ausschließlich Zellparasiten. Der Erreger wechselt zwischen zwei Vertebraten, die in einer Räuber – Beute – Beziehung stehen. Die karnivoren Endwirte sind familienspezifisch, die herbivoren Zwischenwirte jedoch wenig spezifisch. Beide haben denselben Immunapparat; in die Darmzelle eindringende Sporozoiten bzw. Zystozoiten lösen jedoch jedes Mal gänzlich verschiedene Entwicklungsabläufe aus. Eine Synopsis der genetischen, physiologischen und ökologischen Funktionen in den beiden Wirtskategorien enthüllt die ausgleichenden Wirkungen dieser Parasiten in einem offenen Ökosystem (Box 2.4, Seite 120). Sarkosporidien demonstrieren die Bedeutung der Parasiten für die Evolution. Ohne Sarkosporidien könnten z.B. die großen Wale nicht existieren (Abb. 2.67, Seite 127). Die diaplazentare Infektion des menschlichen Fötus entspricht der beim Schaf, dessen Lamm vom Luchs vor seiner Ausrottung gejagt wurde (Abb. 2.60, Seite 124).

Das Vorkommen (Prävalenz) der menschliche Bilharziose hängt primär vom Verhalten des Menschen als Endwirt ab. Er kontaminiert mit den Eiern des Egels die Biotope der Zwischenwirtschnecken und kommt dort mit den Zerkarien wieder in Kontakt (Abb. 2.63, Seite 129). Die Symptome der Parasitose, allesamt durch Stauungen hervorgerufen, treten erst bei überhöhter Parasitenlast auf (Box 2.5, Seite 134). Somit besteht gegen das Verdriften der Eier in die Leber kein Selektionsdruck. Die Synchronisation der Fortpflanzung von Parasit und Endwirt lässt sich vergleichend zum Menschen (Abb. 2.71, Seite 145) auch am Rind erkennen, obwohl das Rind nur etwa so viele Monate bis zur Geschlechtsreife benötigt, wie der Mensch Jahre. Die Fekundität der Egel geht schon bei einer Wurmlast von wenigen Pärchen zurück (Abb. 2.68, Seite 144). Diese sensible Selbstkontrolle der Vermehrung des Parasiten im Endwirt weist auf spezifische Signalstoffe hin. Die Körpermasse der Egel im Vergleich zu der seines Wirtes ist im Warmblüter jedoch so gering, dass die fraglichen hochspezifischen Stoffe wahrscheinlich der Immunreaktion entstammen. - Die Mirazidien finden ihre Zwischenwirte mit Hilfe der Pheromone, welche die Schnecken zur ihrer Dispersion in ihrem jeweiligen Biotop aussenden. Die potenziell unbegrenzte Vermehrung der Stadien in der Schnecke wird gedrosselt, sobald diese zum Hungerstoffwechsel übergeht. Eine Synopsis der Überlebensstrategie von Schistosoma mansoni zeigt die für heteroxene, zyklische Parasiten geltenden Grundzüge (Box 2.7 Seite 148).

Die Leber-, Darm- und Lungenegel entwickeln sich über Schnecken als erste Zwischenwirte, an die sich fakultativ Fische, Arthropoden und sogar Pflanzen als zweite Zwischenwirte anschließen können. Deren Vielfalt illustriert den eingangs angesprochenen polyphyletischen Ursprung der Parasitenzyklen auch in systematisch eng begrenzten Parasitengruppen.

Die Zestoden vermehren sich im Endwirt simultan sowohl geschlechtlich, als auch vegetativ. Das Spektrum ihrer Zwischenwirte reicht von Arthropoden bis zu Säugetieren. Ihre Übertragungswege sind entsprechend vielgestaltig, was der Bau ihrer Eier und die Weise ihrer Freisetzung wiederspiegelt (Abb. 2.76 und 2.77 Seite 160 und 161). Mit den Strukturen ihrer Skolizes (Abb. 2.73, 2.74, Seite 156) verankern sich nicht nur, sondern nehmen auch Gewebekontakt auf, dessen Bedeutung bei den intestinalen Nematoden (Kap. 3.1, Seite 176 ff) erklärt wird. Im Warmblüter als Zwischenwirt entwickeln manche Zestoden zweite Larvenstadien, welche sich vegetativ vermehren. Diese führen in den Endwirten zu multiplen Infestationen unter Reduktion der Körpermasse und der potentiellen Lebenserwartung der adulten Zestoden.
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