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1.1 Was ist Parasitismus?

Unter einem Parasiten versteht man herkömmlich einen Organismus, der auf Kosten eines anderen Lebewesens (dem Wirt) lebt. Parasitismus gilt landläufig als unmoralisch. Diese unbewusste Diskriminierung verhindert unbefangenes wissenschaftliches Fragen. Die Hypothese von Angriff und Abwehr verweist die Forschung auf Therapie, Vorbeugung und Bekämpfung und beschränkt die zoologische Parasitologie auf Medizin, die botanische Parasitologie auf Schädlingsbekämpfung. Rund die Hälfte aller bekannten Arten, von Viren bis zu Wirbeltieren sind mindestens in einem Stadium parasitisch. Alle Organismen haben Parasiten, selbst diese haben wieder Superparasiten. Parasiten beeinflussen die ökologischen Wechselbeziehungen ihrer Wirte nachhaltig und somit auch die Evolution.

Direkt übertragene Parasiten, wie z.B. der Spulwurm Ascaria spec., können ebenso wie Mikroorganismen mittels Hygiene wirksam bekämpft werden. Deren Begriffe prägen bis heute die Denkweise in der Parasitologie. Gegen zyklisch durch Vektoren oder Zwischenwirte übertragene Parasiten bleibt Hygiene indessen wirkungslos. Die Bekämpfung von Parasitosen, kombiniert mit Massentherapie, bleibt unbefriedigend, die Entwicklung von Vakzinen brachte noch keine überzeugende Resultate.

Parasitologie ist ein Teilgebiet der Ökologie; die Umwelt eines Parasiten ist ein lebender Organismus. Einerseits muss ein Parasit die Abwehr seines Wirtes überwinden, andererseits darf er ihn nicht töten. Die Parasit-Wirt-Beziehung muss beide Bedingungen in ein Gleichgewicht bringen. Dies ist nur mit Regulationen zu erreichen. Die wirksamste Waffe eines Parasiten ist seine Fortpflanzung. Wenn die betreffenden Stadien nicht ausgeschieden werden (z.B. Eier in den Fäzes), sondern im Wirt verbleiben (z.B. Mikrofilarien), können sie durch die Abwehrreaktionen des Wirtes, d.h. interspezifische Mechanismen kontrolliert werden. Der sparsamste und zugleich wirksamste Mechanismus ist jedoch die Selbstkontrolle des Parasiten, d.h. die Kontrolle durch intraspezifische Mechanismen. Sie müssen dem physiologischen Zustand des Wirtes angemessen sein und somit durch Signale des Wirtes vom Parasiten wahrgenommen werden. Die Theorie einer Kräftebalance oder balance of power, charakterisiert durch eine Selbstkontrolle der Vermehrung des Parasiten, wäre eine entsprechende Hypothese zur Erklärung der Parasit-Wirt-Beziehung. Selbst die Immunantwort des Vertebratenwirtes kann die Selbstkontrolle des Parasiten steuern. Plasmodium falciparum überlebt in seinem Wirt nicht trotz, sondern mit Hilfe der Immunantwort (s. Abb. 2.2, Seite 15). Die Synchronisation der Fortpflanzung des Parasiten mit der seines Wirtes, wie sie bei vielen Nematoden zu beobachten ist, kompensiert die Altersdrift, die jeder gut ausbalancierte Parasit unausweichlich erleidet.


Abb. 1.1: Die ökologische Situation des Parasiten. Sein Biotop, der Wirtsorganismus, besitzt unspezifische Barrieren und reagiert feindlich: Aggression des Parasiten bzw. defensive Reaktion des Wirtes. Bereits besiedelte Wirte erreicht ein Parasit mit gleicher Wahrscheinlichkeit wie noch nicht Besiedelte. Dies gilt sowohl bei kontaminativer als auch bei zyklischer Übertragung durch einen Vektor oder vermittels eines Zwischenwirts. Fehlt eine schützende Immunität, so führt eine erneute Invasion bzw. Inokulation zur Superinfestation bzw. -infektion: Erneuter Befall bei bereits bestehender Parasitose ist die Regel. Diapause: Eine obligat frei lebende Ruhephase des wirtswechselnden Parasitenstadiums erhöht die Wahrscheinlichkeit des Befalls neuer Wirtsindividuen.


Auf der Ebene der Population regulieren interspezifische Rückkoppelungen direkt übertragener Parasiten die Dichte ihrer Wirte: Parasitierte Wirte fallen ihren natürlichen Feinden vermehrt zum Opfer. Die Räuber-Beute Beziehungen zwischen Karnivoren und Herbivoren werden durch protozoische Parasiten ausgeglichen, die zwischen den beiden Partnern zyklisch übertragen werden (s. Kapitel 2.8 Toxoplasmose und Sarcosporidiose). Die Übertragung hängt von den Kontaktraten zwischen den relevanten Parasitenstadien und ihren Wirten ab. Deshalb weisen alle dichteabhängigen Prozesse auf Rückkoppelungen hin.

Ein Parasit kann kurz wie folgt definiert werden (Crofton 1971 a,b):

Ein Parasit ist von seinem Wirt physiologisch abhängig.

Ein Parasit entzieht seinem Wirt Energie, gewöhnlich als Nahrung.

Das Reproduktionspotential eines Parasiten übertrifft das seines Wirtes.

Ein Parasit bedroht die Vitalität seines Wirtes und kann ihn potenziell töten.

Die individuelle Parasitenlast verteilt sich in der Wirtspopulation überdispers


Abb. 1.2: Häufigkeitsverteilung langlebiger, metazoischer Parasiten in ihrer Wirtspopulation. Die durchschnittliche Parasitenlast verteilt sich in der gesamten Population negativ-binomial (Parasiten pro Wirt), dsgl. in deren einzelnen Altersklassen (s. Kap. 8.5.3, S. 303). Sie erreicht infolge von Superinfestationen ein Plateau in der Altersklasse, die der mittleren Lebenserwartung des Parasiten (plus dem Erstinfestationsalter des Wirtes) entspricht. Wegen verminderter Exposition bzw. Empfänglichkeit und teilweiser Resistenz (Prämunition) fällt die durchschnittliche Parasitenlast in den höheren Altersklassen gewöhnlich wieder etwas ab. Überparasitierte Wirte sterben zudem früher. Die Häufigkeit der parasitierten, patenten Wirte verteilt sich in den Altersklassen der Gesamtbevölkerung ebenfalls negativ-binomial (patent). In den obersten Altersklassen überwiegen postpatente Wirte (s. Kap. 2.3.1, S. 51).


Die physiologische (ökonomische) Abhängigkeit zweier Organismen wurde ursprünglich als Symbiose sensu lato bezeichnet (De Bary 1879). Sie kann wechselseitig und obligatorisch (1) oder fakultativ (2), einseitig und nicht pathogen (3) oder pathogen (4) sein (Box 1,1, Seite 8).

(1) Symbiose sensu strictu: Beide Partner haben lebensnotwenige Vorteile.

(2) Mutualismus: Der beträchtliche Energieaustausch ist ausgeglichen.

(3) Kommensalismus: Die Vorteile des kleineren Partners haben keine Nachteile für den anderen.

(4) Parasitismus: Der kleinere Partner zieht alle Vorteile an sich, ohne den größeren zu entschädigen.

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