Die Untersuchung der Lebenszyklen von Parasiten spielt gegenwärtig in der Forschung eine untergeordnete Rolle. Solche über die Wechselwirkungen zwischen Parasit und Wirt bei Säugern auf physiologischer und besonders immunologischer Basis herrschen vor. Um die industriell-technisch hergestellten Reagenzien anwenden zu können, strebt man, die human-pathogenen Parasiten sowie ihnen nahestehende Arten aus Tieren, an Mäuse und Ratten als Surrogatwirte anzupassen. Nur vorübergehend wurden auch die immunologisch schwächer reaktiven Mastomys (multimammate Maus aus Südafrika), seltener Meerschweinchen und Kaninchen, oder Katzen und Hunde eingesetzt. Die aus Surrogatwirten gewonnenen Erkenntnisse lassen sich jedoch um so weniger auf die Parasitosen des Menschen übertragen, je mehr Pathologie, Pathogenese und Chemotherapie in den Fragestellungen präzisiert wurden. Tiermodelle, bei denen Parasiten mit ihren natürlichen Wirten aus dem Freiland ins Labor gebracht werden, bedingen einen hohen materiellen, personellen und zeitlichen Aufwand für die Laborzucht von zumeist exotischen Kleinsäugern.
Bei Untersuchungen der Ultrastruktur von Parasiten stieß man auf Probleme der Konfrontation der biologischen Oberflächen von Organismen aus verschiedenen Tierklassen: Die parasitophore Vakuole von Säugerzellen um zellparasitische Sporozoen, die Anlagerung von Wirtsproteinen an frei im Blut zirkulierende Trypanosomen oder dort lebende Nematoden und Trematoden, die Vorgänge bei der Invasion und Migration von Parasiten durch die Gewebe usw. sind inzwischen gut bekannt. Fragen des Stoffwechsels von Parasiten wurden mit immer besseren biochemischen Verfahren untersucht. Diese wiederum stimulierten die Versuche zur in vitro Kultur von Parasiten. Die Forderung, Tierversuche möglichst einzuschränken, begünstigte diese Arbeiten.
Um 1970 wurde man sich der Bedeutung der Parasitosen des Menschen und seiner Nutztiere für die Weltwirtschaft allgemein bewusst. Die durchschlagenden Erfolge der Vakzination gegen Viren und Mikrobien, z.B. bei der Ausrottung der Pocken, sollten bei zyklisch übertragenen Parasitosen die Vektorbekämpfung ergänzen, wenn nicht ablösen. Die genauere Identifikation von Parasiten in ihren Vektoren sollte Parasiten des Menschen von denen der Wildtiere trennen, ggf. tierische Reservoire menschlicher Massenparasitosen genauer umschreiben. Dabei erkannte man die Komplexität solcher Zusammenhänge. Die mit der chemischen Bekämpfung verbundenen Umweltprobleme förderten die Erforschung biologischer Bekämpfungsstrategien. Damit traten Parasiten der Wirbellosen, z.B. Viren, Mikrobien, Pilze oder Protozoen vor allem in Insekten, in den Gesichtskreis der Humanparasitologie. Die Erforschung der Reproduktionsbiologie der Parasiten wies auf deren Dynamik hin. Eine schlüssige Epidemiologie verlangte mathematische Modelle. Diese waren an präzisen, quantitativen und qualitativen Daten aus umfangreichen Feldforschungen zu prüfen. Selbst für die Malaria liegt jedoch erst eine einzige, erschöpfende epidemiologische Studie aus Nigeria vor, das Garki-Projekt (Molyneaux and Gramiccia, 1980). Für die Onchozerkose wurden zwar schon mehrere Modelle entwickelt, die jedoch, basierend auf Felddaten aus bekämpften und unbehandelten Gebieten, zu recht unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich des längerfristigen Erfolges einer simulierten Bekämpfungsaktion führten. Trotz vieler Daten zur Prävalenz und Übertragung ist unser Wissen hinsichtlich der quantitativen Zusammenhänge unzulänglich. Insbesondere fehlen genaue Daten zu den dichteabhängigen Regulationsprozessen, durch welche sich die Parasitose sowohl in der Überträgermücke als auch im Endwirt Mensch unter ganz variablen Verhältnissen stabilisiert.
Eine Vakzination - ein stets angestrebtes Ziel - gelang mit den klassischen Methoden nur in wenigen Fällen; so gegen den Herzwurm des Hundes (Dirofilaria immitis), den Lungenwurm des Rindes (Dictyocaulus viviparus) und gegen die Cysten von Taenia ovis im Zwischenwirt Schaf. Im letzteren Fall handelt es sich offensichtlich um eine artifiziell erzeugte Prämunition: Die vakzinierten Schafe bekommen statt mehrerer nur eine Cyste. Endwirt des Bandwurmes sind der Hund u.a. Caniden. Der Einsatz dieser Vakzinen blieb indessen eingeschränkt, die Wirkung hält nicht lange genug an.
Inzwischen sind die molekularbiologischen Kenntnisse und Verfahren soweit herangereift, dass sie für eine breitere Anwendung auch in der Parasitologie zur Verfugung stehen. Allerorten mühen sich Molekularbiologen um eine Vakzine gegen jeden humanpathogenen Parasiten. Als erstes wurde 1970 von mehreren Arbeitsgruppen in den USA und in Kolumbien eine synthetische Vakzine gegen Malaria in Angriff genommen. Sie herzustellen, gelang im erwarteten Zeitraum von 20 Jahren. Das wirksame Prinzip, das Circum Sporozoit Protein (CSP), ein Antikörper gegen die Oberflächenproteine des Sporozoiten, versagte jedoch im klinischen Versuch. Eine weitere synthetische Vakzine (SPf 66) erwies sich in zahlreichen Feldversuchen ebenfalls zuletzt als unwirksam und Skepsis machte sich breit. Die neuerliche, politische Instabilität in der Dritten Welt ließ viele aufwändig durch Hygiene und Vektorbekämpfung sanierte Gebiete wieder in den ursprünglichen Zustand zurückfallen. So hat die Prävalenz der Schlafkrankheit in Zentralafrika wieder den ursprünglichen, erschreckend hohen Stand von 1930 erreicht, nachdem sie 1970 unter Kontrolle war. Die politischen Wirren und möglicherweise auch die Immunschwächekrankheit AIDS, haben das zur Überwachung aufgebaute System, das Erkrankte frühzeitig erfasste und einer Behandlung rechtzeitig zuführte, vollkommen zerstört.
Die pharmazeutische Industrie verlor die Hoffnung auf einen sich öffnenden Markt für Chemotherapeutika, Insektizide und Molluskizide, und gab die Forschung auf diesen Gebieten fast völlig auf. Als Grund wird von der Presse stereotyp unterstellt, dies sei geschehen, weil die Völker der Dritten Welt die zu entwickelnden Medikamente ohnehin nicht bezahlen könnten. Tatsächlich käme eine wirksame Behandlung erheblich billiger als alle anderen gesundheitspolitischen Maßnahmen. Selbst wenn eine Intervention erst nach Jahrzehnten einen Erfolg versprach, so wurde sie von den internationalen Organisationen stets voll finanziert, wie das z.B. bei der Ausrottung der Pocken in Äthiopien und Indien, zwei der ärmsten Länder der Welt, geschah. Hochwirksame Präparate, z.B. Lampit gegen Chagaskrankheit, konnten nicht zur Massenbehandlung eingesetzt werden. Ivermectin, hochwirksam gegen Onchozerkose und Praziquantel gegen Schistosomiasis, versprechen nur im Verbund mit vektorspezifischen Maßnahmen, d.h. bei integrierter Bekämpfung über Jahrzehnte, einen dauerhaften Erfolg. Sie werden bei Großprojekten unbegrenzt an die Risikopopulation kostenlos abgegeben. Das Onchozerkose-Kontrolleprogramm hat die Flussblindheit im gesamten Savannengebiet Westafrikas innerhalb von 30 Jahren unter Kontrolle gebracht. Hoffentlich lässt sich dieser Zustand erhalten.
Auch im universitären Bereich schwindet das Interesse an Humanparasitologie. Den Vertretern klassischer Fächer, wie Biologen und Mikrobiologen, gilt Parasitologie als angewandte, lediglich zweckorientierte Wissenschaft, da sie selber ökologische Grundfragen nur an freilebenden Organismen erkennen. Tatsächlich kommt es bei den von einem Organismus physiologisch abhängigen Parasiten darauf an, sich durch artspezifische Varianten des Stoffwechsels auf variable Situationen im spezifischen Wirt einzustellen. An Parasiten wurde die grundsätzliche Bedeutung solcher Zusammenhänge früh erkannt, und z.B. die Antigenvariation bei Trypanosomen als Modell zur Untersuchung der Genexpression genutzt. Beim Säuger stimmen der Immunapparat der Maus und des Menschen prinzipiell überein. Parasiten rufen jedoch keine neuartigen Immunreaktionen hervor, sondern sie modulieren bereits bekannte Reaktionsmuster. Prinzipiell neu sind die dabei erkannten Mechanismen wie z.B. Coating (Ablagerung wirtseigenen Proteins auf der Oberfläche des Parasiten), Immunneutralisation, blockierende Antikörper, Immunsuppression, um nur einige zu nennen (s. Kap. 8.1.2). Die Bedeutung der permanenten Stimulation des Immunapparates durch Fremdeiweiß beim Turnover bestimmter Entwicklungsstadien, z.B. Malaria-Merozoiten, Trypanosomen, Leishmanien und Mikrofilarien, wird kaum verstanden.
Die vorangegangene, eindrucksvolle Spezialisierung des Faches Parasitologie von 1960 bis 1990 spiegelte sich in der Zahl damals neu begründeter wissenschaftlicher Zeitschriften. Allein im angelsächsischen Sprachraum erschienen neu: International Journal of Parasitology (1971), Parasite Immunology (1979), Parasitology Today neuerdings: Trends in Parasitology (1984), Journal of the American Association of Mosquito Control (1984), Experimental and Applied Acarology (1984), Medical and Veterinary Entomology (1986), Journal of Medical and Applied Malacology (1989). Inzwischen werden die ältesten, traditionsreichen Zeitschriften zusammengelegt. Tropical Medicine and International Health (Blackwell) vereinigt seit 1996 fünf frühere Zeitschriften: Annales de la Societe Belge de Medecine Tropicale, The Journal of Tropical Medicine and Hygiene, Tropical and Geographical Medicine, Acta Leidensia und Tropical Medicine and Parasitology (Hamburg).
In allen Ländern Europas wurden neben den bereits seit dem 2. Weltkrieg bestehenden Tropenmedizinischen Gesellschaften eigene parasitologische und sogar getrennte veterinär-para-sitologische Gesellschaften gegründet. Gemeinsame Jahresversammlungen vereinigen regelmäßig die Parasitologen mehrerer europäischer Länder, z.B. die der Bundesrepublik Deutschland mit denen aus Österreich und der Schweiz, England entweder mit Belgien und Holland oder Norwegen, Dänemark und Schweden. In Osteuropa und auf dem Balkan war sogar Deutsch die Kongress-Sprache eines europäischen Multikolloquiums in dreijährigem Turnus. Es wird inzwischen wechseln in allen europäischen Ländern veranstaltet. Schwerpunktprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Molekulare und immunologische Mechanismen der Parasit-Wirt-Interaktion" gefolgt von "Voraussetzungen und molekulare Mechanismen der Persistenz von Parasiten im Wirt" sollen dem Fach neue Impulse geben. Sie heben jedoch mehr auf die anzuwendenden Techniken ab, als auf neue Methoden. Um zu verstehen, um was es hierbei geht: Methode ist ein Verfahren nach Grundsätzen (Kant), Technik beschreibt die dabei eingesetzten Mittel. "Material und Methoden" ist meistens nicht mehr als ein gedankenloser Stabreim. Ein Beispiel: Um die noch unbekannte Funktion eines Sinnesorgans zu erfahren, stehen zwei Methoden zur Verfügung: Der Verhaltensversuch und der sinnesphysiologische Versuch. Die dabei eingesetzten Techniken sind vielfältig, z.B. Abdecken des Organs, Ableitung elektrischer Impulse usw. Methode (gr. meta nach und odos Weg) und Technik (gr. techne Kunst) bezeichnen den Unterschied treffend.
Bisher unbeantwortete Fragestellungen sollen mit molekularer Technik bearbeitet werden: Das Versprechen eine Vakzine - sei sie Fern- oder Nahziel - für jede Parasitose entwickeln zu wollen, gründet fast immer auf der Hypothese vom Angriff des Parasiten und dessen Abwehr durch den Wirt. Sie setzt einen Alternativ-Strategen (s. Kap. 8.1.1) voraus, dessen Reaktionslage irreversibel verändert werden kann. Tatsächlich haben wir in den meisten Fällen jedoch Balance-Strategen (s. Kap. 8.1.2) vor uns, deren Überlebensstrategie auf regulatorischen und damit reversiblen Prozessen beruht.
Zusammenfassend läßt sich feststellen: Allgemein werden bevorzugt physiologische, immunologische und epidemiologisch relevante taxonomische Fragestellungen bearbeitet. Die neu entwickelten, mathematischen Modelle geben die natürlichen Verhältnisse erstmals zutreffend wieder. Für die Diagnostik und zur Identifikation von Parasiten und Vektoren werden zunehmend molekularbiologische Techniken herangezogen. Die Parasit-Vektorkomplexe und damit die Mikroepidemiologie gewinnen an Bedeutung. Damit werden auch die Bekämpfungsstrategien spezifischer, sowohl bei den Bekämpfungsmaßnahmen selbst als auch bei der Erfolgskontrolle: "Integrierte Kontrolle".
Gegenwärtig gelten Molekularbiologie und Immunologie der Parasiten, sowie mit gewissem Abstand epidemiologische Feldforschung als Schwerpunkte. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Ersten mit der Dritten Welt, d.h. nicht nur Touristik und Dienstleistungen, erfordert die Erforschung der Überlebensstrategien der Parasiten und zwar nicht nur auf individueller, sondern mehr noch auf populationsdynamischer Ebene. Erst sie ermöglichen eine praktische Anwendung in tropischen Ländern. Die Forschungspolitik, gesteuert vor allem durch die Vergabe der immer wichtiger werdenden Drittmittel, setzt die Prioritäten umgekehrt: Sie fördert vornehmlich Vorhaben zur Entwicklung einer Vakzine oder eines Medikamentes anstatt zum Vergleich verschiedener Strategien bei der Bekämpfung. Dementsprechend weisen Publikationen selbst über spezielle Fragestellungen einleitend unentwegt auf die jeweils Millionen von Menschen hin, welche gerade an der in Rede stehenden Parasitose leiden; Wunschdenken soll den Wert der mitgeteilten Erkenntnisse steigern.
Molineaux L. Gramiccia G. (1980) The Garki project. Geneva: Wrld Hlth Org.
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